Teil 3
Ich möchte noch eine weitere Anmerkung vorausschicken. In zahlreichen Bescheiden und Urteilen oder bei Anhörungen – beispielsweise in einem mir vorliegenden Bescheid des Bundesamts vom 29.11.2005 in einem Verfahren beim Verwaltungsgericht Wiesbaden oder in einer Anhörung beim Verwaltungsgericht Köln am 10.01.2006 – wird aus einem meiner Gutachten vom 05.08.2002 zitiert und damit begründet, dass eine Gefährdung für Angehörige der Hindu- und Sikh-Minderheit in Afghanistan nicht gegeben sei. In der Tat schrieb ich damals: „Grundsätzlich gilt, dass Angehörige der Schiiten und Hindus heute in Afghanistan keine Verfolgung zu befürchten haben. (…) Die Hindus waren in den letzten Jahren an den Kämpfen und Massakern in Afghanistan nicht beteiligt gewesen, so dass man ihnen heute keine Verbrechen irgendeiner Art vorwerfen kann. Obwohl sie von den Mudjahedin und Taleban verfolgt waren, haben sie heute keine große Gefahr für ihr Leben zu fürchten.„
Diese Lage hat sich inzwischen allerdings grundsätzlich verändert. Das zitierte Gutachten für das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom August 2002 wurde kurz nach der Loja Jerga, der „großen Versammlung„ vom Juni 2002, verfasst, auf der Präsident Karsai im Amt bestätigt und ein Verfassungsentwurf in Auftrag gegeben wurde. Nach dem relativ ruhigen Verlauf der Stammesversammlung schien zunächst eine positive Entwicklung in Afghanistan absehbar zu sein, so dass ich in meinem zitierten Gutachten mit Recht eine Entspannung der Gefahrenlage für Angehörige von Minderheiten, in diesem Fall der Hindus, konstatieren konnte. Gestützt wurde dieser Eindruck auch dadurch, dass viele nach Indien geflüchtete Hindus große Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Landes und die Möglichkeit einer Rückkehr nach Afghanistan hegten. Hatte Präsident Karsai damals doch den religiösen Minderheiten versprochen, ihre religiöse und kulturelle Unterdrückung zu beenden und enteigneten Besitz zurückzugeben. Sie würden Wiedergutmachung für die unter den Taleban und Mujahedin erlittenen Verfolgungen erhalten. In diesem Glauben kehrten damals auch Hindus und Sikhs nach Afghanistan zurück, wo sie als gleichberechtigte Bürger zu leben hofften. In dieser Phase, in der die neue afghanische Regierung ihre Arbeit praktisch noch nicht begonnen hatte und das Land sich in einer Umbruchssituation befand, war man als politischer Beobachter zunächst auf die abgegebenen Absichtserklärungen Karsais angewiesen, die natürlich auch der politischen Opportunität und dem Wunsch geschuldet waren, vor der internationalen Gemeinschaft einen guten Eindruck zu erwecken.