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Teil 24

Am 11.12.2005 traf ich im Laden eines der Bazarhändler, der mir Auskünfte gegeben hatte, zufällig einen Hindu. Er berichtete mir, sein Haus im Viertel „Kala-e Fatullah„ sei von dem ehemaligen Handelsminister Mostafa Kazemi konfisziert worden. Er habe sogar gewagt, vor Gericht zu gehen. Gerade heute Morgen sei der Prozess zu Ende gegangen, und das Gericht hätte dem Minister das Haus zugesprochen. Dieser Kazemi war einer der wichtigsten Männer im Kabinett von Karsai und hat noch heute als Parlamentsabgeordneter eine wichtige Position. Dieser Kazemi ist eine so wichtige Person, dass er bei der Petersberg-Konferenz zur Neuordnung Afghanistans im Dezember 2001 wichtige Fäden im Hintergrund zog.

Ein weiteres Beispiel aus Kabul: Der Sikh Rawinda Singh erklärte mir, er habe ein Haus in Kart-e Parwan besessen. Dieses sei vor zehn Jahren von einem bekannten Mujahedin-Kommandanten aus der Umgebung von Ahmad Schah Masud namens Gajum Somorod beschlagnahmt worden. Ihn und seine Familie habe man aus dem Haus vertrieben, geschlagen und mit dem Tod bedroht. Dieser Gajum sei später durch Kämpfe zwischen den Mujahedin-Fraktionen zu Tode gekommen. Heute lebe dort dessen Bruder, ein wichtiger Mann der Karsai-Regierung. Einmal habe er gewagt, Anspruch auf sein Haus zu erheben; doch der heutige Besitzer habe ihn mit dem Tod bedroht, wenn er noch einmal wagen würde, sein Eigentum zu beanspruchen.

Einige Hindus erklärten, vor etwa einem Jahr hätten sie eine Delegation, die bei der Regierung vorstellig wurde und die Rückgabe ihres konfiszierten Eigentums verlangte. Doch man schickte sie nur in das Viertel „Shur Bazar„ zu den Ältesten der Moscheen, die angeblich darüber entscheiden konnten. Dort jedoch begegneten sie nur bewaffneten Mujahedin, die ihnen mit dem Tod drohten, falls sie nicht verschwänden.

Die materiellen Lebensverhältnisse der afghanischen Hindus und Sikhs sind also heute dadurch gekennzeichnet, dass ihr Haus- und Grundbesitz enteignet wurde. Ihre einzige Zuflucht sind ihre ehemaligen Tempel in ihren alten Wohngebieten. Im Zuge meiner Recherchen suchte ich daher alle Viertel in der Hauptstadt auf, die traditionell von
Hindus bewohnt wurden, wobei ich mich von zwei Hindu-Informanten begleiten ließ.

In dem Viertel „Shur Bazar„ im Süden Kabuls lebten von der Zeit Zahir Schahs bis zur Najibullah-Ära ca. 35.000 Hindus und Sikhs, die meisten aus der unteren und der Mittelschicht, darunter viele Ladenbesitzer. Heute ist es ein Armenviertel, in dem mehrere hunderttausend Menschen leben, jedoch praktisch keine Hindus und Sikhs mehr. Die Einwohner sind heute Muslime, unter ihnen viele ehemalige Mujahedin. Von der Hindu-Gemeinde ist im Straßenbild nichts mehr zu entdecken. Einst hatte es in diesem Viertel acht größere Tempel gegeben. Diese wollte ich aufsuchen, um festzustellen, ob in den Tempelbezirken noch Hindus lebten. Diese Tempel sind die einzigen Stellen, an die sich ein abgeschobener afghanischer Hindu wenden kann; abgesehen von der einmaligen 12-Dollar-Hilfe der UNO, die er als afghanischer Staatsangehöriger einfordern kann.

Auf dem Gehweg zu einem der Tempel, der am Ende einer Gasse liegt, wurden wir von mehreren Mujahedin angehalten und angegriffen, da sie glaubten, wir kämen, um Ansprüche auf enteignete Häuser zu erheben. Insbesondere griffen sie meine Begleiter, zwei Hindus, tätlich an, beschimpften sie als Gottlose und verlangten zu wissen, was sie hier zu suchen hätten. Vor ihrem Angriff flüchteten wir in den Tempel, wo ich tatsächlich einige Hindu- und Sikh-Familien antraf. Auch in dem zweiten ehemaligen Tempel des Viertels leben noch wenige Personen. Von diesen Hindus im „Shur Bazar„-Viertel erhielt ich folgende Auskunft: Die ehemaligen Bewohner des Viertels seien fast alle nach Indien, manche auch nach Europa und Übersee geflüchtet. Von den einst acht Hindu-Tempeln sind vier so stark zerschossen, dass sie praktisch nur noch Ruinen darstellen. Trotzdem leben dort noch einige Familien. In zwei weiteren Tempeln leben auch einige Familien; die Mehrzahl der verbliebenen Hindus dieses Viertels konzentriert sich auf die vier Tempel, die ich aufsuchte. Doch auch diese sind durch den Krieg stark zerstört; ein Wiederaufbau hat bisher nicht stattgefunden.