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Teil 6

Große Hindugemeinden gab es auch in Kandahar, Jalalabad, Khost, Gardiz, Gazneh und Kundus. Auch dort zählten sie nach Tausenden, die in den oben angesprochenen Wirtschaftssektoren tätig waren, und bildeten starke Gemeinschaften. Gerade weil diese Gemeinden in einem traditionell denkenden, muslimischen Land existierten, in dem sie als „Gottlose„ betrachtet wurden, wiesen sie einen engen Zusammenhalt auf. Da viele ihrer Mitglieder wohlhabend waren, konnten es sich diese Gemeinden leisten, ärmere Mitglieder zu unterstützen und große Bildungsanstrengungen zu unternehmen. Während meiner Reisen in Afghanistan habe ich ganze Wohnviertel angetroffen, in denen fast ausschließlich Hindus und Sikhs lebten. Diese Viertel waren sichtlich wohlhabend. Eines dieser Wohngebiete lag zur Najibullah-Zeit im Kabuler Nobelviertel Kart-e Parwan. Dort lebten mehr als Tausend Hindu- und Sikhfamilien in einem Villenviertel mit prachtvollen Häusern. Insbesondere viele Sikhs waren hier zu Reichtum gelangt. Mitten in diesem Wohngebiet lag der wichtigste und reichste Tempel des Landes, das Zentrum der Gemeinschaft. Jeder Hindu oder Sikh, der bedürftig war, konnte sich an die Gemeinde wenden. In Kabul gab es für die Hindu-Kinder sechs große Schulen mit je mehr als 1000 Kindern. Eine dieser Schulen befand sich unmittelbar in der Nähe des Zentraltempels und wurde von mehr als 1.500 Kindern besucht. Seit Jahrzehnten stellte der afghanische Staat dazu Mittel des Bildungsministeriums zur Verfügung, setzte Lehrer ein und stellte einen staatlichen Lehrplan. Alle Fächer wurden unterrichtet. Diese Schulen waren also durch den afghanischen Staat anerkannt und wurden entsprechend gefördert. Auf der anderen Seite besuchten zu dieser Zeit, als die Hindus und Sikhs von staatlicher Seite als Minderheit anerkannt waren und gefördert wurden, viele Hindu- und Sikhkinder staatliche afghanische Schulen. Insgesamt wurde ihnen durch diese Politik der soziale Aufstieg ermöglicht, so dass viele Hindus Universitäten besuchten und als Ärzte, Ingenieure, Manager in der Industrie und im Finanzwesen sowie in der Regierung zur Elite des Landes gehörten. Häufig konnte ich als Journalist beobachten, dass Hindus unter Najibullah in den Ministerien, besonders im Außenministerium, vertreten waren. Die starke Kabuler Hindu- und Sikh-Gemeinde zog die ärmeren Hindu-Gemeinden von Kabul und in anderen Städten quasi mit und ließ sie an ihrem Reichtum und Einfluss teilhaben. Auch der größte Teil des Im- und Exports lag praktisch in der Hand der Hindus, hier spielten die Hindu-Gemeinden in grenznahen Städten wie Kandahar im Süden und Jalalabad im Osten, beide nicht weit von der pakistanischen Grenze entfernt, eine große Rolle.

Die Sikhs und Hindus erlebten also unter den „Kommunisten„ eine Blütezeit und einen Höhepunkt an Macht und Einfluss. Damit allerdings zogen sie den Hass der muslimischen Bevölkerung, insbesondere der Mujahedin, auf sich, die sahen, dass das verhasste Regime eine Minderheit förderte und sozial hochkommen ließ, in der diese islamischen Fundamentalisten „Götzendiener„ und „Ungläubige„ sahen. Auch dass gerade diese Ungläubigen durch die Förderung der „Kommunisten„ zunehmend zu Macht, Reichtum und politischem Einfluss gelangten, verbitterte die Fundamentalisten. Selbst den „ärmeren„ Hindus, z.B. den mittelständischen Bazarhändlern, ging es vergleichsweise besser als Afghanen in derselben Stellung.

Mit dem Einmarsch der Mujahedin nach Kabul 1992 wurde die gesamte Infrastruktur der Hindu- und Sikhgemeinschaften zerstört. Viele Gemeindemitglieder wurden getötet, auch, um zu erreichen, dass sie Gemeinden das Land fluchtartig verließen. Viertel wie das genannten Kart-e Parwan waren plötzlich menschenleer, die Bewohner geflohen. Ihre Häuser wurden von mächtigen Mujahedin-Kommandanten beschlagnahmt. Auch im Geldbazar, dem Saray-e Schazdah, und den umliegenden Bazaren wurden die hinduistischen Händler vertrieben, ihre Geschäfte konfisziert. Der Terror ging so weit, dass auch die ärmsten Hindus, wie einfache Ladenbesitzer, entweder getötet wurden oder über Nacht aus dem Land flohen.