"Religiöse Minderheiten werden zum Übertritt gezwungen" ein Artikel von Faqirchand Chandihok in westfällische Rundschau
Der Fall des Christen Abdul Rahman überrascht den 59-jährigen Fagirchand Chandihok aus Holzwickede nicht. Der Arzt ist Hindu und floh Ende 1994 mit Frau und drei Kindern nach Deutschland.
"Unsere Geschäfte sind damals geplündert und die Häuser besetzt worden. Viele Mitglieder unserer Gemeinde sind erschossen worden, und auch meine Familie und ich wurden mit dem Tod bedroht, falls wir nicht zum Islam übertreten", berichtet Chandihok.
Inzwischen deutscher Staatsbürger und in Sicherheit, ist der Kontakt in seine Heimat nie abgerissen. Auch einige Mitglieder der aktuellen afghanischen Regierung kennt Chandihok, etwa Wirtschaftsminister Amin Farhang. Dass ausgerechnet der sich jede Einmischung Deutschlands in die afghanischen Angelegenheiten verbeten hat, erfüllt Chandihok mit Bitterkeit: Amin Farhang habe selbst 22 Jahre hier in Deutschland gelebt, seine Familie sei nach wie vor hier. "Wie kann man da so etwas sagen?"
Trotz der vom Westen gelobten Verfassung habe sich im afghanischen Alltag wenig geändert: Das Justizwesen sei von Fundamentalisten und den Mullahs durchsetzt. Und auch unter Präsident Hamid Karsai werde nach der Scharia, dem islamischen Recht, regiert. "Moslemische Familien sehen es noch immer als ihre Pflicht an, konvertierte Christen oder Hindus zu lynchen", meint Chandihok. "Es ist noch immer üblich, dass Angehörige religiöser Minderheiten gezwungen werden, zum Islam überzutreten, Frauen droht die Zwangsheirat."
Die Regierung Karsai habe noch kein Konzept entwickelt, wie sie dem Fundamentalismus in allen Bereichen des öffentlichen Lebens begegnen will. "Ich darf als Afghane im eigenen Land nicht für ein politisches Amt kandidieren, weil ich Hindu bin", sagt Chandihok. "Aber Osama Bin Laden dürfte zum Präsidenten gewählt werden."
Etwa 30 000 Christen leben unerkannt im Land.
Der 59-Jährige erinnert an die von den Taliban zerstörten Buddha-Figuren in Bhamian im Norden Afghanistans, die zum Weltkulturerbe gehörten. Die Statuen seien auch in den vier Jahren der neuen Regierung von Präsident Hamid Karsai nicht wieder aufgebaut worden, obwohl die japanische Regierung das Projekt finanzieren wolle. Im selben Zeitraum seien selbstverständlich überall im ganzen Land zahlreiche alte Moscheen aufgebaut und viele neue errichtet worden.
Offizielle Zahlen über die Größe religiöser Minderheiten in Afghanistan gibt es nicht. Fagirchand Chandihok sagt, dass vor der Herrschaft der Taliban etwa 70 000 bis 120 000 Hindus und Sikhs in Afghanistan lebten. Kurz vor seiner Flucht seien es nur noch etwa 2500 gewesen. Er schätzt, dass heute wieder etwa 30 0000 Christen in ganz Afghanistan leben - unerkannt.
Unverständlich ist es für Chandihok, dass Deutschland noch immer Nichtmuslime nach Afghanistan abschiebt. "Das muss aufhören", fordert Chandihok. Die Bundesregierung müsse sich vielmehr für die Wahrung der Religionsfreiheit in Afghanistan einsetzen.
Fagirchand Chandihok
27.03.2006 Von Peter Gräber
Zeitungsverlag Westfalen GmbH & Co KG Essen-Dortmund
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