2 Sprache, Kultur, Traditionen und Sitten

Aufgrund der Vielfältigkeit unserer hinduistischen Gesellschaft in Afghanistan sind unsere Sprache, Kultur, Traditionen und gesellschaftlichen Sitten anders als die Dortigen. Unsere neue Generation, die in Europa aufwächst vergisst mit der Zeit ihre Sprache und meistens interessiert sich nicht für unsere Kultur und Traditionen.

Wie in dem Buch „Wir sind die Ureinwohner dieses Landes“ zitiert wurde, gehören Hindus zu den Ureinwohnern des Landes (das heutige Afghanistan). Ich teile ebenfalls diese These. Wenn wir die strukturellen Tiefen unserer Gesellschaft durchleuchten, können wir daraus ableiten, dass nicht nur in den vergangenen 25 Jahren, sondern auch früher unser Volk aufgrund der Angriffe auf unser Glauben und unsere Kultur immer wieder gezwungen wurde ihre Heimat zu verlassen und auf der anderen Seite von Indus anzusiedeln. Mit dem Lauf der Zeit gründeten die Kinder der Ausgewanderten dort Familien und mischten sich in deren Kultur ein. Nach der Lockerung der politischen Verhältnisse kehrten ein Teil dieser Familien ebenfalls zurück nach Afghanistan, wie viele Inder, die auf der Suche nach Arbeit sich umsiedelten. Sie entdeckten dort Ähnlichkeiten ihrer Kultur und fühlten sich in unserer Gesellschaft wohl. Oftmals wurden indische Beamten, Fachleute und Mediziner von den afghanischen Herrschern eingeladen, die sich mit der Zeit dort einlebten und sich für immer in diesem Land aufhielten. Die Verbindung zum Indien wurde somit intensiviert und gestärkt. Deshalb betrachteten uns einige Moslems fälschlicherweise als indische Einwanderer. Selbst einige Hindus glaubten an diesem Irrtum und versuchen seither auf zwei Schiffen gleichzeitig zu reisen.

Zum Schutz des Glaubens war der Kontakt mit den Indern unvermeidbar. Die Ähnlichkeit unserer Sprache mit den Nordwesten Indiens wurde dadurch beeinflusst. Wir stellen heute fest, dass Familien, die sich über eine längere Zeit in Indien aufhielten, sich auf Hindi verständigen. Die in Deutschland aufgewachsenen Kinder kommunizieren auf Deutsch und es gibt Rückkehrer nach dem Abzug der russischen Soldaten in Afghanistan, die aus Pakistan deren Sprache und Kultur mit sich brachten. Das Kricket-Spielen in Kabuler Sportstadion ist ein wesentliches Beispiel für einen derartigen Kulturwandel. Da in den vergangenen Jahrhunderten unser Volk sich sehr wenig für das Bildungswesen interessierte, konnte unsere Sprache und Kultur, die einen glaubensgeprägten Ursprung hat, im Wesentlichen erhalten bleiben. Aber heute könnte man vorhersagen, dass dieses Erbe uns vielleicht die nächsten zwei Generationen erhalten bleibt und sich mit der Zeit verändern wird.

Oftmals wird in den Sitzungen und in den privaten Runden den Vereinen einen mangelhaften Beitrag zum Schutz und Erhalt unserer Sprache und Kultur vorgeworfen. Es taucht hier die Frage auf, welche Sprache damit gemeint ist? Sind eigentlich Hindi bzw. Punjabi unsere Muttersprachen? Wenn ja, warum kommunizierten unsere Eltern nicht auf diese Sprachen und gaben Diese an uns weiter? Warum schrieb der beliebte Poet Nandlal Goya in Dari? Oder ist damit unsere gemischte Sprache gemeint? Gibt es für diese Sprache eine Schrift und Alphabet? Haben wir eine eigene Schreibweise? Sicherlich nicht! Die Geschichte bestätigt, dass die Entstehung und Entwicklung von Urdu nicht älter ist als 500 Jahre. Sie entstand aus Hindi und Farsi und bekam von den Mogulen – die damaligen Herrscher von Indien – die persische bzw. arabische Schreibweise. Sie ist heute die Amtsprache von Pakistan.

Wie soll sich die neue Generation mit ihrer Muttersprache beschäftigen? Da sie keine Schrift hat, wird notgedrungen Hindi ausgewählt. Zu einem weil diese Sprache sehr viele wissenschaftliche und literarische Möglichkeiten bietet und zum anderen ist sie zur Sicherung und Stärkung unseres Glaubens sehr hilfsreich. Auf der anderen Seite wird durch diese Vorgehensweise die eigene Muttersprache geopfert. Auf diese Weise nimmt unsere Kultur einen Entwicklungsprozess an und wird sich mit dem Lauf der Zeit verändern.

Der wesentliche Teil unserer Kultur ist aus unserer Religion abgeleitet. Aufgrund der fehlenden Gesetzgebung in der Vergangenheit wurden die wichtigen gesellschaftlichen Themen und Ereignisse damals nicht ohne den religiösen Geistlichen bestimmt und praktiziert. Die Ratschläge der Geistlichen wurden zu den Gesetzen, unabhängig davon ob die Gesellschaft es erforderte oder das persönliche Interesse der Geistlichen dahinter steckte. Bis heute werden diese als Bestandteile der Religion betrachtet. Das Verbot des Fleischverzehrs zwei Mal im Jahr während Navratri, die Zurückhaltung bei den Frauen, die eine Geburt hinter sich hatten, das Verbot Witwen zu heiraten und die mehrtägige Trauer nach dem Tod der Verwandten zählen hierzu. Einige dieser Sitten haben bis heute ihren Sinn beibehalten. Andere sind wiederum nicht mehr zeitgemäß bzw. mit der Zeit abgeschafft. Allerdings sollte man diejenigen, die uns Freude zubereiten beibehalten.

Die kulturellen Zeremonien wie Geburt, Verlobung und Hochzeiten haben in unserer Gesellschaft unterschiedliche Traditionen, die zur Freude und zu den Feierlichkeiten beitragen. Diese Traditionen sind von den Gegebenheiten abhängig. Zum Beispiel war es in Afghanistan möglich, dass der Bräutigam auf dem Pferd zur Hochzeit kam und seine Braut in Doli mitnahm. Die Eltern der Braut vermieden es bei dem Schwiegersohn und dessen Verwandten zu speisen und zu trinken. Die Traditionen dieser Art fangen an mit den neuen Generationen zu verschwinden.

Eine ganze Reihe der Feierlichkeiten, wie Vaisakhi-Fest in Sultanpur (Djalalabad), Djampir-Fest in Kandahar, Navratri-Fest in Asamai oder Gurpurbh in Dharamshalas sind aufgrund der Veränderungen unserer Umgebung unmöglich geworden. Auch die früheren Generationen waren von diesem Problem betroffen. So konnten sie ebenfalls Feste wie Holi oder Daschehra in Afghanistan nicht praktizieren.

Gebräuche, Sitten, Kultur oder Traditionen sind sehr abhängig von Zeit und Gegebenheiten. Die Aufnahme der neuen Traditionen, die keine negativen Folgen für eine Gesellschaft haben und von unserer neuen Generationen akzeptiert, gepflegt und praktiziert werden, sollten von den Älteren ebenfalls die Zustimmung erhalten. Nehmen wir Geburtstage als Beispiel: Sie sind heute ein Muss, obwohl vor 40 Jahren keine Spur von denen da war. Zum auftragen von Mehendi (Henna) geht die Braut heutzutage im Schönheitssalon, obwohl vor ein paar Jahren war das Verlassen des Hauses für eine Braut kurz vor ihrer Hochzeit nicht gestattet. Ebenso werden heute Hochzeitstage gefeiert, Valentinstag wird immer beliebter. Wir haben ältere Menschen unter uns, die ihre Ehefrau vor dem Heiraten nicht mal gesehen hatten. Schauen Sie wie das heute ist?

Wäre das nicht überlegen und klug wenn wir bereits Heute für Veränderungen von Morgen offen sind und Akzeptanz zeigen? Oder auf Gebräuche verzichten, die nicht mehr praktikabel sind? Nur so glaube ich können wir mit der neuen Generation Schritt halten und dabei glücklich bleiben.

Gianchan Kapoor


1 Vorwort

2 Sprache, Kultur, Traditionen und Sitten

3 Afghan Hindu Kultur Verein (A.H.K.V.)

4 Achha aur bora

5 Bildung und Integration

6 START

7. Dharam Kendre Mandir Essen u. die Jugend

8. Ist die Kuh Heilig?

9. Was ist und was war…

10. Der Sinn des Lebens

12. SRI GURU NANAK DEV JI (1469-1539)

13. Entwicklung der „Afghanische Hindu-Gemeinde"

14. Die wachsende Hoffnung


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