Teil 9

Die Flüchtlinge würden zuerst nach Kabul in eine Sammelstelle der UNHCR im Osten der Stadt, auf dem Weg nach Jalalabad, gebracht. Dort werde die einmalige Hilfe ausgezahlt. Anschließend brächten Transportfirmen, die von der UN bezahlt werden, sie zu ihren Heimatorten. Auf meine Frage an den UNHCR-Vertreter, ob dies alles sei, oder ob die Flüchtlinge noch weitere Hilfen erhielten, betonte dieser, zwischen 2002 und 2005 hätte das World-Food-Programme (WFP) einem Teil der Flüchtlinge noch folgende, einmalige Hilfe zukommen lassen: pro Familie (afghanische Familien bestehen durchschnittlich aus 8 bis 10 Personen) ein Zelt, einen Eimer, 50 kg Getreide, zwei Stück Seife und einige Meter Stoff für die Frauen. Eine weitere Hilfe außer dieser einmaligen Gabe innerhalb von drei Jahren gab es nicht. Auf weitere Nachfragen erklärte er, wer bereit war, Kabul zu verlassen und in der Heimatregion – also weitab der Zivilisation – Grundbesitz habe, habe Baumaterial erhalten, um sich auf ihrem eigenen Land neue Häuser zu errichten. Wohl gemerkt, diese Hilfen kommen nicht allen Flüchtlingen zu Gute, sondern nur den Ärmsten der Armen unter ihnen. Zwischen 2002 und Ende 2005 – also in knapp vier Jahren – seien auf diese Weise 140.000 Häuser gebaut worden. Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dies primitivste Zweiraumhäuser ohne Kanalisation, Elektrizität oder sonstige Einrichtungen außer einer einfachen Toilette sind, und dies für durchschnittlich acht bis zu fünfzehn oder zwanzig Personen. Wovon die Flüchtlinge leben, während sie ihre Häuser bauen, ist ihre eigene Angelegenheit. Der UNHCR-Vertreter wies darauf hin, dass seine Organisation auch versuche, Wasserstellen einzurichten. In den letzten vier Jahren, so seine Angaben, seien für 3,5 Millionen Flüchtlinge auf dem Lande 8.200 Wasserstellen geschaffen worden. Auch hier wurde also nur ein Bruchteil der Flüchtlinge versorgt. Zudem gelingt unter diesen primitiven Verhältnissen die Ansiedlung oft nicht, und die Bauern fliehen zurück in die Städte. Außerdem ist noch einmal deutlich darauf hinzuweisen, dass dieses Programm weitab in den Provinzen stattfindet und für Rückkehrer aus Europa – denen das Bundesamt und die Gerichte ja zugestehen, dass man sie allenfalls nach Kabul abschieben könne – nicht von Belang.

Auch das afghanische Ministerium für Rückkehrer versucht, Flüchtlinge auf dem Land neu anzusiedeln, hat dafür jedoch nur ein geringes Budget zur Verfügung. Ich sprach mit dem afghanischen Minister für Rückkehrer, Dr. Azam Dadfar. Er habe keinerlei Mittel für die Integration der Flüchtlinge zur Verfügung, erklärte der Minister. Die Hilfsgelder flössen sofort wieder an die ausländischen Organisationen zurück, um beispielsweise Gehälter zu finanzieren. Das Budget seines Ministeriums betrage nur 2,7 Millionen US-Dollar jährlich. Mit dieser Summe könne er nicht einmal die Gehälter der 1140 Beamten seines Ministeriums zahlen und erst recht nicht 4,4 Millionen Flüchtlinge versorgen. Dennoch mache er aus der Not eine Tugend und versuche, weit von den Städten entfernt, in den ländlichen Gebieten, staatlichen Grund und Boden an die Flüchtlinge zu verteilen. Doch dort gebe es keinerlei Infrastruktur. Er hoffe, so zumindest in den nächsten Jahren 200.000 Familien zu helfen. An einem konkreten Beispiel konnte ich mich selbst davon überzeugen, wie diese „Hilfe„ aussieht: 15 km außerhalb der Stadt Mazar-e Sharif im Norden liegt ein kleiner Ort namens Share Nour. Das Gelände dort ist eine unfruchtbare Salzwüste. Dieses Land hat das Ministerium an Rückkehrer aus Pakistan verteilt. Mit eigenen Augen sah ich mehr als 200 Familien, die man einfach dort in der Wüste abgesetzt hatte.


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