Teil 21

Im Osten und Süden tobt ein regelrechter Krieg zwischen amerikanischen und afghanischen Truppen auf der einen und Taleban und al-Qaida auf der anderen Seite. Auch hier nur ein Beispiel, um nicht zu breit zu werden: Während meines Aufenthalts, am 15. Dezember, griff eine große Truppe der Taleban und der al-Qaida in der Provinz Paktia die Hauptstraße zwischen den Städten Khost und Gardiz an und besetzten sie. Vier Stunden lang fand eine offene Feldschlacht zwischen ihnen und afghanischen sowie US-Kräften statt. Fünfzig Stunden lang blieb die Straße gesperrt; die Verluste an Menschen und gepanzerten Fahrzeugen waren groß. Dabei sind sowohl in Khost als auch in Gardiz US-amerikanische Truppenkontingente stationiert. Laut Aussagen von afghanischen Polizei- und Armeerepräsentanten sind die Verluste der Amerikaner – prozentual auf die Truppenstärke bezogen – in Afghanistan inzwischen höher als im Irak. Allein in 2005 sollen 200 US-Soldaten gefallen sein, eine Zahl, von der man in hiesigen Medien nichts hört. Kämpfe wie in Gardiz und Khost finden täglich statt und fordern hohe Verluste.

Unter diesen Umständen sind weder die afghanische Regierung noch die ausländischen Schutztruppen in der Lage, in Kabul, in anderen Großstädten oder auf dem Land für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und erst recht nicht, eine Familie von Rückkehrern vor politischer Verfolgung und Racheakten zu schützen.

Ein eigenes Erlebnis mag das plastisch belegen: Am Tag des Cheney-Besuchs wurde ich von einem afghanischen Polizeioffizier angehalten und am Weitergehen gehindert. Ich wies mich als Deutscher aus und zeigte den Presseausweis des afghanischen Außenministeriums vor. Dennoch hielt der Offizier mich – unter massiver Androhung körperlicher Gewalt – auf. Mein Wunsch, seinen Vorgesetzten sprechen zu wollen, und meine Drohung, mich an die ISAF-Truppen zu wenden, wurden mit Hohn quittiert. Allein er sei hier der Chef. Dies sind die Polizeioffiziere, an deren Ausbildung die Deutschen mitwirken! Man kann sich vorstellen, welche Behandlung ein einfacher Afghane oder sogar jemand, der als Sikh oder Hindu erkennbar ist, von diesem „Ordnungshüter„ erfahren hätte. Dass es keine Instanz gibt, an die sich ein Rückkehrer, der sich bedroht fühlt, wenden könnte, wird daraus überdeutlich.

Die afghanischen Ordnungskräfte sind allgemein als durch und durch korrupt bekannt. Der Volksmund nennt sie „Einheiten der Diebe„. Die Führung und die mittleren Ränge der Polizei bestehen durchweg aus ehemaligen Mujahedin-Kommandanten, die sich Jahrzehnte lang in Raub und Plünderungen geübt haben. Nun sollen sie Recht und Ordnung aufrecht erhalten. Die einfachen Ränge der Polizei verdienen so wenig – 2000 Afghani oder 40 Dollar monatlich; wie oben bereits aufgezeigt, eine Summe, von der eine Familie nicht leben kann -, dass die große Verbreitung von Diebstahl und Korruption bei der Polizei kein Wunder ist. Diese afghanische Polizei ist weder willens noch in der Lage, die Sicherheit der Bevölkerung, geschweige denn der Rückkehrer, zu gewährleisten.

Über die Verbreitung von Korruption im Justizwesen wurde oben bereits berichtet. Überall bekommt derjenige Recht, der die höchste Bestechungssumme zahlen kann. Die Justiz ist jedenfalls keine Instanz, an die sich ein mittelloser Rückkehrer um Schutz oder in strittigen Fragen wenden könnte.

Fazit ist, dass die eigene Regierung und die eigenen Ordnungskräfte die Afghanen nicht schützen und ihre Sicherheit nicht gewährleisten können. Die ausländischen Truppen stehen der Situation hilflos gegenüber. Als politischer Beobachter mag man konstatieren, dass es Jahrzehnte dauern dürfte, das System der Korruption innerhalb der afghanischen Ordnungskräfte zu reformieren. Für einen abgeschobenen Asylbewerber aus Europa kommt das allerdings zu spät; gegenwärtig kann er nicht darauf rechnen, Schut
bei den afghanischen Behörden zu finden oder auf eine Sicherheitslage zu treffen, die seine körperliche Unversehrtheit gewährleistet.


Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5

Teil 6

Teil 7

Teil 8

Teil 9

Teil 10

Teil 11

Teil 12

Teil 13

Teil 14

Teil 15

Teil 16

Teil 17

Teil 18

Teil 19

Teil 20

Teil 21

Teil 22

Teil 23

Teil 24

Teil 25

Teil 26

Teil 27

Teil 28

Teil 29

Teil 30

Teil 31

Teil 32


(C) 2011 - Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken