Teil 19

Sicherheitslage

Auch die Sicherheitslage in den Großstädten, insbesondere in Kabul, ist katastrophal. Im ganzen Land herrschen praktisch die Drogenmafia und die großen Kriegsfürsten. Weder die Regierung noch die ausländischen Truppen sind in der Lage, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Kabul platzt durch den Zustrom der Flüchtlinge aus allen Nähten und ist praktisch nicht mehr kontrollierbar. Polizei und Justiz sind vollständig korrupt und von den verschiedenen Mujahedin-Parteien unterwandert. Selbst Präsident Karsai wagt sich ohne US-amerikanische Leibwächter nicht auf die Straße. Bei meinem sechzehntägigen Aufenthalt im Dezember konnte ich mich davon überzeugen, dass in ganzen Stadtvierteln mit mehreren Hunderttausend Einwohnern keine Ordnungskräfte vorhanden sind. Nacht für Nacht kommen in Kabul Dutzende von Menschen ums Leben, ohne dass diese Fälle je aufgeklärt werden. Die ausländischen Schutztruppen haben sich in ihren Quartieren hinter Beton eingegraben. Kabul ähnelt einer belagerten Stadt. Die ausländischen Botschaften, die Hilfsorganisationen und NGOs haben sich hinter Betonabsperrungen verschanzt, die oft die Gehwege und Teile der Straße einnehmen. Überall im Stadtbild trifft man auf solche Barrieren oder auf gesperrte Straßen. Ganz offensichtlich haben die Ausländer große Angst, ihre Quartiere zu verlassen. Das Personal der europäischen Botschaften geht praktisch nie vor die Tür. Wenn sie sich doch in der Stadt bewegen, lassen sie sich zum eigenen Schutz von Sicherheitskräften begleiten, jedoch nie von afghanischen, die allgemein als nicht so zuverlässig betrachtet werden. In den 16 Tagen, die ich in Afghanistan verbracht habe, sah ich äußerst selten überhaupt Europäer auf den Straßen – wohl gemerkt, obwohl ich mich täglich 10 Stunden in der Stadt aufgehalten habe, um die Situation einschätzen zu können. Ein einziges Mal traf ich in der Stadt auf Gruppen von 2 -3 Personen, die in der Chicken Street, wo man bekannterweise gut Antiquitäten kaufen kann, unterwegs waren, einmal Franzosen, ein anderes Mal US-Amerikaner. Sie waren mit je zwei Geländewagen und fünf bis sechs Sicherheitsleuten mit entsicherten Waffen unterwegs. Wenn die Ausländer einen Laden betraten, mussten alle anderen Kunden auf die Straße, und die Sicherheitsleute umstellten das Geschäft.

Was die Internationale Schutztruppe angeht, so scheint in Gerichtsurteilen und Bescheiden die Auffassung zu herrschen, in Kabul gewährleiste die ISAF ein gewisses Maß an Sicherheit für die Bevölkerung. Doch die Soldaten wagen nicht einmal, zu Fuß auf Patrouille zu gehen. Wenn sie auftauchen, gleicht das eher einer symbolischen Handlung. Während meines gesamten Aufenthalts habe ich nur ein Mal zwei gepanzerte Fahrzeuge mit deutschen Soldaten gesehen, die sich mit entsicherten Waffen schützten. Dies aber nur in der Stadtmitte, nicht etwa in den Außenbezirken. Ein weiteres Mal sah ich ein US-amerikanisches Fahrzeug. Diese Auftritte sollen wohl die Anwesenheit der ausländischen Truppen demonstrieren, haben aber sonst keinerlei praktische Auswirkung. Wenn überhaupt, dann sind sie dazu da, Präsident Karsai und seine Regierung zu schützen und dies nach außen zu zeigen. Das in Gerichtsurteilen und Bescheiden häufig angeführte Argument, wenigstens im Westen der Stadt gewährleiste die Präsenz der ISAF-Truppen einen gewissen Schutz für die Rückkehrer oder die Bevölkerung insgesamt, hält also der Realität nicht stand.


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